Das Bundesforum Männer hat am 15. November 2023 unter dem Motto »Wenn die Zeit nicht reicht – Zeitpolitik und Sorgearbeit im Kontext von Männerberatung« zum jährlichen Netzwerktreffen Männerberatung eingeladen. Die Netzwerktreffen ermöglichen einen fachlichen Austausch unter Expert:innen der Männerberatung und sollen den Teilnehmer:innen neue Impulse für ihre Arbeit geben. Das Veranstaltungsformat ergänzt das vom Bundesforum Männer betriebene Beratungsportal männerberatungsnetz.de, mit dem die Auffindbarkeit von Beratungsangeboten für Jungen, Männer und Väter erleichtert wird.

Die Geschäftsstelle des Bundesforum Männer bedankt sich bei allen Referent:innen, Workshopleiter:innen, Mitgliedsorganisationen und Gästen für ein erfolgreiches, abwechslungsreiches und lebendiges 9. Netzwerktreffen Männerberatung. 

Teresa Bücker gibt Startimpuls

Nach der Begrüßung und den einleitenden Worten von Klaus Schwerma, erläuterte Teresa Bücker in ihrem Impuls „Zeit_macht_Geschlecht. Zeitpolitische Strategien für partnerschaftliche Rollenmodelle“ den thematischen Hintergrund der Veranstaltung. Die Autorin und Journalistin führte uns in ihre Analysen der Zusammenhänge von Geschlecht und Zeitknappheit ein, um die es auch in ihrem Sachbuch „Alle_Zeit“ geht.

Im Anschluss begrüßte Dr. Marc Gärtner (Referent des Bundesforums für internationale Gleichstellungspolitik) die Berater Robert Frischbier (Vereinbarkeit) und Michael Gümbel (Arbeits- und Gesundheitsschutz). Gemeinsam mit Teresa Bücker diskutierten sie mögliche Achsen für Veränderung rund um Zeit, Zeitpolitik und Zeitstress für die Beratungsarbeit von Männern und für den betrieblichen Kontext.

Austausch und Vernetzung in Workshops 

In der folgenden Workshop-Phase ging es darum, den thematischen Blick auf das Thema Zeit zu weiten und in den Austausch zu kommen. Dazu haben wir fünf Fachleute eingeladen, ihre Erfahrungen und Perspektiven auf unterschiedliche Aspekte von Männerarbeit und Beratung einzubringen und mit den Workshopteilnehmer:innen zu diskutieren.

Eberhard Schäfer vom Väterzentrum Berlin stellte im Workshop drei unterschiedlich gelagerte Fallbeispiele aus seiner Beratungsarbeit vor. Diese dienten als Ausgangspunkt, sich dem Thema Zeit von Vätern für Kinder in schwierigen Familienkonstellationen anzunähern. Dabei handelte es sich nicht ausschließlich um klassische Trennungssituationen. Das verbindende Element aller drei Fälle war, dass die Möglichkeiten, gemeinsam Zeit zu verbringen und sich als Vater einzubringen, aufgrund verschiedener Umstände begrenzt war. 

Hier standen zum einen die äußeren Umstände im Fokus, für welche die betroffenen Väter jeweils adäquate Formen der Verarbeitung finden mussten. Zum anderen ging es in der Diskussion aber auch um die Frage, in welcher Art und Weise die Väter darauf reagieren, wie sie mit den damit verbundenen Emotionen und Affekten umgehen und was das wiederum für die Beratungsarbeit selbst bedeutet. Ein geschlechterreflektierter Zugang in der Beratung, der für Männlichkeitsanforderungen und „typische“ männliche Bewältigungsmuster sensibel ist, kann insofern hilfreich sein, die Situation besser oder anders verstehbar zu machen und geeignete Lösungsoptionen auszuloten.  

Lenza Severin stellte ihr Konzept eines Gesundheitstraining für Männer in Haft vor, als ein Modell mit Männer in Haft männlichkeitsreflektiert zu arbeiten. Haft ist eine besondere Situation, in der Männer zwangsweise in einem homosozialen Umfeld leben und starken sozialen Einschränkungen, Hierarchien und Machtstrukturen unterworfen sind. Sich mit der eigenen Gesundheit, dem eigenen Körper zu befassen kann unter diesen Bedingen nicht nur den Zugang mit den eigenen Befindlichkeiten verbessern, sondern auch Potentiale entfalten sich mit den eigenen Männlichkeitsvorstellungen auseinanderzusetzen, ohne diese Themen direkt zu adressieren.  

Gesundheitstrainings können hier ein behutsames Angebot zu Selbstreflexion von Männlichkeit sein, wenn sie dies auch konzeptionell mit „im Gepäck“ führen. 

Die Diskussion im Workshop konzentrierte sich dann auch um Fragen, inwieweit es schwierig bis unmöglich ist, mit Männern in Haft direkt zum Thema Reflektion von Männlichkeit zu arbeiten. In einer Umgebung, die einerseits sehr durch diese traditionellen Männlichkeiten bestimmt ist, andererseits aber auch einen Schutz darstellen kann, in dieser Umgebung zu überleben.  

Im Workshop ging es um Sinn-, Beziehungs-, aber auch um Gesellschaftsfragen: Warum haben scheinbar immer mehr Menschen das Gefühl, ihnen „laufe die Zeit davon“? Ist dem mit besserem Zeitmanagement effektiv zu begegnen oder müssen wir dazu mehr (und anderes) verändern?  

„Acht Stunden sind kein Tag“, unter diesem Titel zeigte Rainer Werner Fassbinder Anfang der 1970er Jahre proletarische Lebensrealitäten erstmals im deutschen Fernsehen, nachdem Gewerkschaften Arbeitszeitverkürzungen und bessere Bedingungen erkämpft haben. Dies war ein wichtiger Schritt, um Freizeit und -räume für breitere Gesellschaftsschichten überhaupt zu erreichen. In Zeiten, in denen Menschen wieder mehrere Jobschichten nacheinander leisten müssen, um überhaupt zu überlegen, stellen sich solche Fragen wieder neu.  

Für andere steht eher das Thema im Mittelpunkt, wie Lebensbezüge so gestaltet werden können, dass Zeitwohlstand und Lebensqualität sich erhöhen. Dazu gehört aktive Selbstbeforschung – wozu wir von medialer Berieselung, aber auch von Pflichten und Arbeit abschalten müssen. Was wollen wir für uns selbst wirklich? Und was in Partnerschaft und Familie? Zeit ist also doch wichtig, wir müssen sie nur gut und aktiv gestalten. Und für Verhältnisse sorgen, in denen dies kein Thema nur für Eliten ist, sondern alle eine Chance auf Antworten haben, die für sie selbst angemessen sind. 

„Was braucht der intergenerative Dialog?“ Unter dieser Leitfrage stand der Workshop von Alexander Bentheim und Ralf Ruhl. Zu Beginn stellten die beiden ihr neues Projekt „Männer/* und ihre Wege“ vor, ein biografisch orientiertes Online-Archiv. Darin geben langjährig engagierte Männer einen Einblick in ihr Leben, ihre Erfolge und sonstigen Erfahrungen.   

Vor diesem Hintergrund haben die Teilnehmenden des Workshops diskutiert, wie das Wissen der älteren Generation bewahrt und weitergegeben, der intergenerative Dialog also gelingen kann.  

Die wichtigsten Diskussionspunkte waren, dass viele jüngere Männer oft gar nicht wüssten, dass Fragen von Gleichstellung etwas mit ihrem eigenen Leben zu tun haben. Dies gelte es daher verstärkt zu vermitteln, dabei jedoch immer auf Augenhöhe, nicht belehrend. Dabei helfe, die Erfolge und Errungenschaften der Männerbewegung sichtbarer zu machen. Eine Herausforderung bleibt: Wo sind die geeigneten Räume der Begegnung? Während ein Teil der Workshop-Teilnehmer:innen die sozialen Netzwerke dafür als Chance sieht, bleiben andere skeptisch, ob diese wirklich ein geeigneter Ort seien, um ins Gespräch zu kommen. Die Suche und die Diskussion darum müssten unbedingt fortgesetzt werden. 

„Gutes tun und darüber reden“ – und dies am besten professionell und so, dass das Gesagte beim Gegenüber einen Effekt hat. Das war die Herausforderung, der sich der Workshop mit Enrico Damme von der Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz (BFKM) gewidmet hat. 

Zu Beginn stellte Enrico Damme die neue Kommunikationskampagne „Ohne Gewalt leben, Mann.“ der BFKM vor. Die Kampagne hat das Ziel, für das Thema der Gewaltbetroffenheit von Männern zu sensibilisieren. Neben praktischen Tipps, Tricks und Anekdotischem aus der Erstellung und Umsetzung der Kampagne wurde so der Raum für die Teilnehmer geöffnet, um eigene Erfahrungen mit der Kommunikation von Männerarbeit beizusteuern. Dabei ging es um grundlegende Fragen: „Wie erreiche ich die Zielgruppe?“, „Wie plane ich eine Kampagne?“, „Wie gehe ich mit Widerständen und Vorurteilen um?“, „Wie kann die Kommunikation authentisch und glaubhaft sein?“. Deutlich wurde im Workshop, dass Männerarbeit für die breite Öffentlichkeit immer (noch) eine mitunter erklärungsbedürftige Angelegenheit ist. Eine professionelle Kampagnen- und Werbearbeit kann jedoch unterstützen, das Thema aus der Nische zu holen.