Männerpolitik und Corona

Männerpolitik und Corona

Unter Corona: Männer gewinnen mit und für Sorgearbeit

Der Corona-Lock-Down im Frühjahr 2020 hat für Familien gravierende Veränderungen mit sich gebracht. Um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen, wurden Kitas, Schulen sowie viele Unternehmen und Betriebe geschlossen. Viele Familien und damit auch Männer und Väter fanden sich plötzlich in eine völlig neue Situation gestellt. In den Familien wurden Ressourcen zur Krisenbewältigung mobilisiert, wobei sich insbesondere Frauen mit zusätzlicher Sorgearbeit konfrontiert sahen. Die unentgeltlich erbrachte private Sorgearbeit wurde auf einmal deutlich sichtbar und in ihrer Bedeutung für das Funktionieren unserer (Erwerbsarbeits-)Gesellschaft unmittelbar spürbar.

Je nach Perspektive ließen sich unter dem Corona-Brennglas die vielfältigen Problemlagen der geschlechtlichen Arbeitsteilung betrachten, die sich mit dem Lock-Down noch verschärft haben. Es lassen sich aber auch Entwicklungen beobachten, die Chancen und Perspektiven anzeigen, wenn sie in die Zeit nach dem Lock-Down hinüber gerettet werden können. [1] Wir nehmen wahr, dass im gleichstellungspolitischen Diskurs bislang die Problemanzeigen überwiegen. Die Analysen sind richtig und wichtig: Eine Rückkehr zu alten, stereotypen Rollenbildern und Platzanweisern darf es nicht geben. Strukturelle und soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und ihre Effekte, müssen dringend überwunden werden – von der Einkommensverteilung bis zur Lebenserwartung.


[1] Vgl. hierzu: Christina Boll, Simone Schüller: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos – empirisch gestützte Überlegungen zur elterlichen Aufteilung der Kinderbetreuung vor, während und nach dem COVID-19 Lockdown, in: DIW-SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research, 1089/2020, online: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.792058.de/diw_sp1089.pdf [zuletzt 30.06.2020]

Familien im mittleren und unteren Einkommensbereich und mit einem ‚klassischen‘ Paararrangement, d.h. einem Hauptverdiener und einer nicht oder in kurzer bis mittlerer Teilzeit erwerbstätigen Partnerin, treffen Betriebsschließungen und Kurzarbeit oft besonders stark und führen in den Familien zu Krisen, vor allem dort, wo ein Arbeitsplatzverlust befürchtet wird. [1] Aktuelle Befragungen zeigen einerseits eine Verstärkung traditioneller Arbeitsteilung. [2]

Andererseits werden in der Väterarbeit auch andere Tendenzen sichtbar, dass dort, wo bereits vor der Corona-Krise eine weitgehend egalitäre Aufgaben- und Verantwortungsübernahme praktiziert wurde, die Paare enger solidarisch zusammenrücken und auch Männer mehr Sorgearbeit übernehmen. [3] Daneben wird in Familien, in denen Mütter weiterhin ihren systemrelevanten Tätigkeiten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen nachgehen und Väter im Homeoffice sind, von vielen Vätern erstmals die vollständige Betreuung ihrer Kinder zu Hause übernommen. [4]


[1] Vgl. hierzu: Die Mannheimer Corona-Studie: Schwerpunktbericht zum subjektiven Arbeitslosigkeitsrisiko der Beschäftigten in Deutschland, online: https://www.uni-mannheim.de/media/Einrichtungen/gip/Corona_Studie/MCS_Arbeitslosigkeitsrisiko_Bericht.pdf [zuletzt: 29.06.2020]

[2] Vgl. hierzu: Kai-Uwe Müller, Claire Samtleben, Julia Schmieder, Katharina Wrohlich: Corona-Krise erschwert Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem für Mütter – Erwerbstätige Eltern sollten entlastet werden, in: DIW Wochenbericht, 19/2020: online: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.787652.de/20-19-1.pdf [zuletzt, 30.06.2020]

[3] Vgl. hierzu: Väternetzwerk. Unternehmen vernetzen Väter: Blitzumfrage unter den internen Väternetzwerken, online: https://vaeter-ggmbh.de/wp-content/uploads/2020/05/Praesentation-Ergebnisse-Blitzumfrage.pdf [zuletzt: 30.06.2020]

[4] Vg. hierzu: Titan Alon, Matthias Doepke, Jane Olmstead-Rumsey, Michèle Tertilt: The Impact of COVID-19 on Gender Equality, Discussion Paper No. 163 Project A 03, S. 17f., online: http://tertilt.vwl.uni-mannheim.de/research/COVID19_Gender_Equality_March2020.pdf [zuletzt: 30.06.2020]

Diese Erfahrungen müssen jetzt politisch genutzt werden, das heißt positiv gestärkt werden, um einen nachhaltigen Paradigmenwechsel einzuleiten. [1] Wir dürfen nicht zulassen, dass unter dem Vorzeichen von Corona der Rückgriff auf alte patriarchale Muster Konjunktur hat und Männer wieder auf die Ernährerrolle und Frauen wieder auf die Hausfrauenrolle festgelegt werden. Viele Männer wollen den Familienalltag nicht nur als Satellit erleben, Home Schooling, Erziehungs-, Pflege- und Sorgearbeit an andere, das heißt an Frauen in ihrer Familie, delegieren und als Arbeitskraft dem Verfügungsanspruch der Unternehmen unterworfen sein. Viele Männer fühlen sich aber zugleich der herrschenden Arbeitskultur verpflichtet und geben daher auch aus dem Home-Office heraus alles – nicht zuletzt aus Sorge, im Konkurrenzkampf zurück zu fallen. Vollzeit erwerbstätig zu sein, auch im Home Office, und zusätzlich Sorgearbeit und Home Schooling zu übernehmen, das führt geschlechterunabhängig unweigerlich zu Überforderung.


[1] vgl. hierzu: https://idw-online.de/de/news744417 [zuletzt: 29.6.2020]

Die Corona-Krise zeigt, wie wichtig und systemrelevant Sorgearbeit ist, insbesondere private Sorgearbeit im Familienkontext. Sorgearbeit und Erwerbsarbeit bedingen sich gegenseitig und Männer wie Frauen sollten gleichermaßen die Chance haben, in beiden Bereichen tätig zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, partnerschaftlich aufgestellte Familien zu unterstützen und zu stärken.

Nutzen wir die Erfahrung von Millionen Männern während der Corona-Krise, dass ein Leben außerhalb von Betrieben und Erwerbstätigkeit nicht nur nötig, sondern auch möglich ist! [1]

Nutzen wir den Schwung für einen echten Systemwechsel, in dem die Vereinbarkeitsbedarfe von Frauen und Männern anerkannt und private wie berufliche Sorgearbeit gesellschaftlich und finanziell gewürdigt werden!

Allen Erwachsenen, unabhängig von ihrem Geschlecht, sollte es möglich sein, für den eigenen Lebensunterhalt, auch mit Blick auf die Altersvorsorge zu sorgen UND private Sorgeaufgaben in der Familie übernehmen zu können. Nötig sind Rahmenbedingungen, die individuelle Wahlfreiheit und damit eine partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs-, Sorge- und Hausarbeit tatsächlich ermöglichen. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist es, dass wir bisherige Rahmenbedingungen und Traditionen überwinden, die es Frauen schwer machen, in Vollzeit zu arbeiten, Familienernährerin zu sein und Karriere zu machen – weil sie Frauen sind –, ebenso wie Strukturen, die es Männern schwer machen, in Teilzeit zu arbeiten und „wegen der Kinder“ zu Hause zu bleiben – weil sie Männer sind.


[1] Vgl. hierzu auch: Deutsches Jugendinstitut: Kind sein in Zeiten von Corona: Erste Studienergebnisse, online: https://www.dji.de/themen/familie/kindsein-corona-ergebnisse.html [zuletzt: 30.06.2020]

Was zu tun ist:

  • Einführung einer Vaterschaftsfreistellung: Mindestens 14 Tage Freistellung von der Arbeit mit Lohnersatzleistung aus Anlass der Geburt für Väter – wie in der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie vorgesehen – und ohne Anrechnung auf die Elternzeit

  • Mehr Parität beim Elterngeld: Verbindliche Regelungen beim Elterngeld in Richtung paritätische Aufteilung, Partnermonate auf mindestens vier Monate erhöhen

  • Abbau der Anreize für einseitiges Ernährer-Modell: Modernisierung bestehender steuer- und sozialrechtlicher Fehlanreize wie das Ehegattensplitting oder die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der Krankenversicherung

  • Setzung von Anreizen für Auskommen sichernde Teilzeitmodelle: Etablierung eines neuen Normalarbeitszeitverhältnisses, das flexible und reduzierte Arbeitszeitmuster je nach Lebensphase zulässt und finanziell abfedert <=35 Stunden/Woche

  • Einführung einer Kindergrundsicherung: Garantie des sächlichen Existenzminimums für alle Kinder als unbürokratische Leistung

  • Übernahme von Pflegeverantwortung finanziell absichern: Einführung einer Entgeltersatzleistung zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf – auch und gerade für Männer

  • Aufwertung von Sorge- und Pflegeberufen: Die gesellschaftliche Anerkennung von Sozialer Arbeit, Gesundheits- und Pflege-, Erziehungs- und Bildungsberufen stärken und systemrelevante Berufe gerechter und höher entlohnen. Stärkung der Tarifbindungen; Entlohnung von Anfang an, auch in der Ausbildung

  • Mehr Männer für Sorge-und Pflegeberufe gewinnen: Projekte und Maßnahmen erhalten und ausbauen, mit denen Jungen und Männer für Sorge-und Pflegeberufe dauerhaft gewonnen werden. Dies muss auch angemessenen Platz in der Berufsorientierung und -förderung bekommen. Hierbei kann und muss auf Erfahrungen aus Projekten aufgebaut werden wie: „Mehr Männer in Kitas“, „Chance Quereinstieg“, „Klischee-frei“

  • Equal Pay umsetzen: Lohnlücke schließen, damit Frauen mehr verdienen und ihren Erwerbsumfang erhöhen, mehr und selbstverständlicher in Leitungs- und Führungspositionen kommen UND damit Männer mehr Räume für die Übernahme von Familien- und Sorgearbeit erhalten. Das ist ein wesentlicher Beitrag zu Equal Care und Equal Pension, fördert damit Geschlechtergerechtigkeit und ist im männer- und frauenpolitischen Interesse!

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