Spielarten des Hasses – Männer und Männlichkeit:en in Extremismus und Antifeminismus
Rund 120 Teilnehmende kamen am 4. Juni 2025 auf Einladung des Bundesforum Männer zum Fachtag „Spielarten des Hasses – Männer und Männlichkeit:en in Extremismus und Antifeminismus“ in Berlin zusammen. Im Anschluss folgte der politische Jahresempfang. Im Zentrum der Veranstaltungen stand die Frage, wie autoritäre Männlichkeitsbilder Radikalisierung fördern – und was Politik und Zivilgesellschaft dem entgegensetzen können.
In seiner Eröffnung betonte Thomas Altgeld, Vorstandsvorsitzender des Bundesforum Männer, dass Extremismus nicht geschlechtsneutral sei. Wer Radikalisierung wirksam bekämpfen wolle, müsse sich mit autoritären Männlichkeitsbildern auseinandersetzen. Denn viele extremistische Ideologien funktionierten über eine Inszenierung männlicher Dominanz, Stärke und Überlegenheit – und träfen damit insbesondere bei verunsicherten jungen Männern auf Resonanz. Prävention müsse diese geschlechterpolitische Dimension ernst nehmen und in ihrer Ansprache, Haltung und Praxis berücksichtigen.
Der Fachtag solle dazu beitragen, genau diese Dynamiken sichtbar zu machen – und Impulse für eine geschlechterreflektierte Demokratieförderung setzen.
Keynote „Autoritär + antifemistisch = extrem männlich?“
Im Anschluss sprach Johanna Niendorf, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung in Leipzig, in ihrer Keynote über autoritäre Dynamiken und geschlechtliche Ordnungsvorstellungen. Sie beschrieb eindrücklich, wie antifeministische Angriffe – etwa gegen Gleichstellung, sexuelle Selbstbestimmung oder queere Sichtbarkeit – zum ideologischen Kern rechtsextremer Mobilisierung gehören. Besonders in digitalen Räumen würden Narrative einer „unterdrückten Männlichkeit“ inszeniert und junge Männer emotional abgeholt. Niendorf sprach von einer „Krise der Männlichkeit“ als affektiv aufgeladenem Deutungsmuster für gesellschaftliche und ökonomische Transformationen. Antifeminismus fungiere dabei als Projektionsfläche für Unsicherheit, Angst und Ohnmacht – und ermögliche es, diese in Feindbilder, Abwertung und Aggression umzuleiten.
In ihrem analytischen Fazit beschrieb sie die dahinterliegenden Dynamiken als psychodynamische Abwehrmechanismen: Verleugnung von Abhängigkeit, Spaltung von verletzlichen Anteilen und Projektion eigener Ängste. Sie plädierte für eine kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit über das Politische hinaus – als Gefühlsarbeit: für mehr Reflexion, neue Erfahrungsräume und die gemeinsame Gestaltung gesellschaftlicher Veränderung.
Die Präsentation von Johanna Niendorf stellen wir am Seitenende als Download zur Verfügung.
Paneldiskussion „Männlich, radikal, gefährlich? Extremismen und die Rolle von Geschlecht“
In der folgenden Paneldiskussion wurde die Rolle von autoritären Männlichkeitsbildern im Kontext von Radikalisierung und Demokratiefeindlichkeit vertieft. Judith Rahner, Geschäftsführerin des Deutscher Frauenrats, betonte die ideologische Anschlussfähigkeit solcher Bilder: Sie würden gezielt über Narrative wie „Verlust von Männlichkeit“ und „woke Bedrohung“ mobilisiert – mit tiefen Auswirkungen auf Frauen-, Familien- und Gleichstellungspolitik. Bundesforum Männer-Geschäftsführer Dag Schölper verwies auf das Spannungsfeld zwischen männlicher Kränkung und Radikalisierungsprozessen: Wer Gleichstellung als Angriff auf die eigene Identität erlebt, wird anfällig für autoritäre Antworten.
Matthias Haider, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „RadiGaMe“ am IDZ Jena – Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft, beschrieb die Dynamiken digitaler Gaming-Communities, in denen sich Abwertung, Überlegenheitsfantasien und Gewaltverherrlichung gegenseitig verstärken. Engin Karahan (u.a. Beiratsmitglied und Mitgründer der Alhambra-Gesellschaft) hob hervor, dass patriarchale Vorstellungen von Männlichkeit nicht exklusiv im Rechtsextremismus, sondern auch im religiös begründeten Fundamentalismus anschlussfähig seien. Deutlich wurde: Männlichkeitsbilder wirken als ideologischer Kitt – gegen Frauen, gegen Vielfalt, gegen Demokratie. Die Diskussion zeigte zugleich, dass Prävention, politische Bildung und Beratungsangebote dringend gestärkt und geschlechtersensibel ausgerichtet werden müssen.
Input „Männlichkeitsideologische Radikalisierung. Aufgaben der Männer*arbeit im Umgang mit Manosphere & Co.“
Als inhaltliche Brücke zwischen fachlichem Panel und den praxisorientierten Workshops analysierte Markus Theunert, Leiter des Schweizer männerpolitischen Dachverbands männer.ch, die „Feinmechanik“ männlichkeitsideologischer Radikalisierungsprozesse. Auf Basis der Expertise Faktor Mstellte er fünf strukturbildende Dimensionen vor: Essentialismus (als ideologische Grundlage), Hypermaskulinität (als Leitbild), Bruderschaft (als homosoziale Einbindung), Misogynie (als Abgrenzung zu Frauen) und Autoritarismus (als psychologisches Deutungsmuster).
Theunert warnte vor einem strategisch betriebenen globalen Kulturkampf zur Wiederherstellung einer hierarchischen Geschlechterordnung – mit hoher Anziehungskraft gerade auf männliche Jugendliche. Er plädierte für eine neue Selbstverständlichkeit in Bildung und politischer Praxis: „Jedes Schulkind muss bis zum Alter von spätestens 12 Jahren die Gender Basics vermittelt bekommen. Es muss wissen: Geschlecht ist gestaltbar. Ich darf so Junge oder Mann sein, wie es zu mir passt.“
Der vollständige Redebeitrag von Markus Theunert steht am Seitenende als PDF zum Download bereit.
Workshops: Interaktion und fachlicher Austausch
In der anschließenden Workshopphase vertieften die Teilnehmenden zentrale Themen aus Praxis und Forschung: von Peer-to-Peer-Formaten kritischer Männlichkeitsarbeit über feministische Bildungsansätze und queere Perspektiven bis hin zu Radikalisierungstendenzen im Gaming oder im Kontext von Musik und muslimischer Jugendarbeit. Auch die Rolle von Social Media und mobiler Beratung im Umgang mit Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus wurde diskutiert. Deutlich wurde dabei: Es braucht Räume, Wissen und Ressourcen, um jungen Männern Orientierung zu geben, demokratische Haltungen zu stärken und extremistischen Narrativen etwas entgegenzusetzen.
Resümee des Fachtags
Zum Ende des Fachtags zog Thomas Altgeld ein klares Fazit: Der Tag habe eindrücklich gezeigt, wie stark autoritäre Männlichkeitsbilder mit Demokratiefeindlichkeit und Radikalisierung verwoben seien – und wie wichtig es sei, hier gleichstellungspolitisch gegenzusteuern. Männlichkeitsreflexive Arbeit sei kein Randthema, sondern ein zentraler Baustein für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Altgeld forderte eine Gleichstellungspolitik, die Männer als Teil der Lösung versteht, in Bildungs- und Präventionsstrukturen verankert ist – und die Zivilgesellschaft stärkt, statt sie kaputtzusparen. Das Bundesforum Männer stehe als starker Interessenverband bereit, seinen Beitrag dazu zu leisten.
Unser herzlicher Dank gilt allen Referent:innen für ihre fundierten Beiträge, den Teilnehmenden für den engagierten Austausch – sowie Katharina Linnepe, die den Fachtag mit Umsicht und Sachverstand moderierte.
Jahresempfang des Bundesforum Männer: Gleichstellungspolitik als Demokratiearbeit
Beim anschließenden politischen Jahresempfang machte Thomas Altgeld deutlich: Gleichstellungspolitik braucht Haltung – und strategische Investitionen statt Kürzungen. Angesichts aktueller demokratiegefährdender Entwicklungen sei es fatal, ausgerechnet dort zu sparen, wo soziale Teilhabe und Zusammenhalt gestärkt werden müssten.
Daran anknüpfend unterstrich Altgeld die Relevanz der Gemeinsamen Erklärung, die das Bundesforum Männer gemeinsam mit Partnerorganisationen aus Österreich, Luxemburg und der Schweiz erarbeitet hat. Sie macht deutlich: Männerarbeit fördert die Demokratie – und muss in der Fläche angeboten und abgesichert werden: „Wer Demokratie stärken will, kann nicht gleichzeitig all jene kürzen, die sie täglich verteidigen.“
Abschließend betonte der Vorsitzende des Bundesforum Männer die Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit mit der neuen Bundesministerin Karin Prien – gerade mit Blick auf die Stärkung gleichstellungsorientierter Männerpolitik und die Förderung demokratischer Resilienz. Im Anschluss kamen drei geladene Gäste mit ihren Grußworten zu Wort.
Saskia Esken, die neue Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend, würdigte das Bundesforum Männer als wichtigen Akteur mit klarem gleichstellungspolitischem Kompass. Esken betonte: Wer Gleichstellung erreichen will, muss auch Männer und Väter mitdenken – und ihnen Verantwortung und Teilhabe ermöglichen. Das Bundesforum zeige, wie Männer als Mitgestalter von Gleichstellung gewonnen werden können. Deshalb freue sie sie sich auf die Zusammenarbeit und lade das BFM gerne in den Bundestag ein, um dort im September ein parlamentarisches Frühstück auszurichten.
Sibylle Knapp, neue Unterabteilungsleiterin im BMBFSFJ, betonte, wie wichtig es sei, Gleichstellungspolitik nicht nur auf Frauen zu beziehen – sondern auch Männlichkeiten differenziert in den Blick zu nehmen. Die Entwicklungen seien ambivalent: Einerseits gebe es Fortschritte – etwa bei der Sorgeverantwortung von Vätern. Andererseits drohten Rollbacks durch antifeministische Bewegungen, die Gleichstellung als Bedrohung inszenierten und junge Männer gezielt in Onlineforen und mit extremen Männlichkeitsbildern ansprachen. Knapp bedankte sich beim Bundeforum Männer, gerade in diesen Zeiten ein Gegengewicht zu bilden.
Juana Remus, die für Ferda Ataman von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sprach, hob hervor, dass Männer besonders dann von Diskriminierung betroffen sind, wenn sie Sorgeverantwortung übernehmen – etwa in Elternzeit oder Pflege. So zeigen aktuelle Auswertungen der ADS: Jeder fünfte Beratungsfall zur Diskriminierung wegen Elternschaft oder Pflege stammt von einem Mann.
Der Empfang klang bei Getränken, Fingerfood und vielen Gesprächen aus – mit dem Gefühl, dass es mehr denn je auf gleichstellungspolitische Bündnisse ankommt.
Fachtag und Empfang haben eindrücklich gezeigt: Wer Rechtsextremismus und Radikalisierung wirksam begegnen will, muss Männlichkeitsbilder in den Blick nehmen – in Prävention, Bildung und Gleichstellungspolitik. Das Bundesforum Männer bleibt dran: als zivilgesellschaftlicher Akteur, als Interessenvertretung – und als Stimme für eine demokratiestärkende, gleichstellungsorientierte Männerpolitik.