
Boys’Day als Türöffner: Jungen für SAGE-Berufe und neue Männlichkeitsbilder gewinnen
Am 3. April 2025 bietet der Jungen-Zukunftstag „Boys’Day“ Jungen die Möglichkeit, Berufe in sozialen, erzieherischen und pflegerischen Bereichen kennenzulernen – fernab von Geschlechterklischees. Der Aktionstag trägt dazu bei, Berufswahlmuster zu hinterfragen, vielfältige Teams zu fördern und langfristig Fachkräftelücken in diesen Bereichen zu verringern.
Die Berufswahl ist immer noch geschlechterstereotypisch verteilt
Traditionelle Geschlechterbilder prägen Vorstellungen junger Menschen maßgeblich bei ihrer eigenen Berufs- und Lebensplanung. Dies verdeutlichen nicht zuletzt die am häufigsten gewählten Ausbildungsberufe im Jahr 2024: Bei den Frauen waren die beliebtesten Ausbildungsberufe Kauffrau für Büromanagement, Zahnmedizinische Fachangestellte, Medizinische Fachangestellte und Verkäuferin. Bei Männern waren die Top vier Kraftfahrzeugmechatroniker, Fachinformatiker, Elektroniker und Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik (Bundesinstitut für Berufsbildung 2025).
Wagt man den umgekehrten Blick und betrachtet dezidiert den Anteil von Männern und Frauen in Berufen, die traditionell mit dem jeweils anderen Geschlecht in Verbindung gebracht werden, eröffnet sich ein ebenso ernüchterndes Bild. Der Frauenanteil in den sogenannten MINT-Ausbildungsberufen liegt über die letzten 15 Jahre nahezu unverändert bei um die 10 Prozent. Bei den Absolvent:innen des Studienfachs Lehramt im Primarbereich (Grundschulen) wiederum lag der Männeranteil im Jahr 2023 lediglich bei 13,8 Prozent (Statistisches Bundesamt 2025). Männer sind somit in „klassischen Frauenberufen“ weiter unterrepräsentiert – könnten aber gerade hier zum gesellschaftlichen Wandel sowohl dieser Berufsfelder als auch von Männlichkeitsbildern selbst beitragen.
Auf welchen Beruf die Wahl schließlich fällt, dazu werden oft bereits in Kindheit und Jugend wichtige Spuren gelegt. Orientiert ist diese Wahl wesentlich auch an geschlechterstereotypen Verhaltenserwartungen und Anforderungen. Hier setzt der Boys’Day an, der Jungen ermutigt „Erfahrungen in Berufen und Studienfächern, in denen der Männeranteil bislang unter 40 Prozent liegt“ (Boys’Day 2025) zu machen, insbesondere in den Bereichen Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege sowie Erziehung und Bildung (sogenannte SAGE-Berufe). Ein höherer Anteil von Männern in diesen Berufen kann dazu beitragen, die Fachkräftelücke dort zu verringern. Zugleich könnten damit Teams und Kollegien vielfältiger aufgestellt, das Leitbild von caring masculinities kann gestärkt und Männern insgesamt der Zugang zu emotionalen, fürsorglichen Kompetenzen in privater, wie in beruflicher Arbeit erleichtert werden.
Gleichzeitigkeit von traditionellen und modernen Geschlechterbildern
Aber nicht nur durch die Teilnahme am Boys’Day und die dabei gemachten Erfahrungen entstehen neue Perspektiven. Mit Blick auf Geschlechterbilder und Rollenverständnisse sind auch positive langfristige Tendenzen unter Jugendlichen zu beobachten, wie Ergebnisse einer aktuellen Sinus-Jugendstudie (bpb 2024) zeigen.
So wissen Mädchen wie Jungen um geschlechterstereotype Bilder und Zuweisungen; diese werden „von den meisten Befragten als antiquiert und unsinnig bewertet“ (bpb 2024: 222). Einige dieser Zuschreibungen beziehen sich auch auf Ungleichheiten in den Sphären Erwerbsarbeit und privater Sorgearbeit. Bei der Frage nach geschlechtsspezifischen Zuschreibungen nennen die Befragten mit Blick auf Frauen unter anderem „Mutterschaft“, „Kinderbetreuung“ und „Haushalt“, während in Bezug auf Männer „leistungsorientiert“, „verdienen Geld“ und „Pragmatiker“ aufgezählt werden (ebd.). Allerdings zeigt die Sinus-Studie zugleich auch die Wirkmacht dieser Stereotype, denn auch bei Jugendlichen, die sich selbst als progressiv einstufen, sind diese weiterhin stark „im Hinterkopf verankert“ (ebd.).
Die von Jugendlichen wahrgenommenen Gruppen, die Rollenerwartungen an sie herantragen, sind vielfältig. Während einerseits oft vage die „Gesellschaft“ oder die „ältere Generation“ genannt werden, gelten andererseits auch Eltern, die Peer-Group und soziale Medien als prägende Einflüsse. Zudem unterscheidet sich der Umgang mit den Erwartungen bei Jugendlichen stark. Einige lehnen die Stereotype aktiv ab oder setzen sich bewusst mit ihrer eigenen Rolle auseinander. Andere hingegen gaben an, Stereotype zu übernehmen, sei es, weil sie diese nicht als einschränkend empfinden oder sie sich damit sogar identifizieren – allerdings ohne dabei zwingend bestimmten Rollenzuweisungen wie „Ernährer“ oder „Hausfrau“ zuzustimmen (bpb 2024: 224). Deutlich wird jedoch, dass die Vorstellung des „starken Mannes“ in einigen Jugendgruppen weiterhin tief verankert ist (ebd.). Unterschiede lassen sich hier sowohl zwischen den sozialen Milieus und Bildungsschichten als auch zwischen den Geschlechtern identifizieren. So sind es mehrheitlich Jungen mit „formal niedriger Bildung“, die „[f]estgefügte Geschlechtsidentitäten und Rollenbilder“ (ebd.: 223) unterstützen. Einher geht dies meist mit christlichen oder muslimischen Überzeugungen (ebd.).
Gerade weil Rollenerwartungen von so vielen Seiten an Kinder herangetragen werden, und damit auch Ansichten zum Thema Berufswahl, sind Aktionstage wie der Boys’Day so wichtig (kompetenzz 2024: 4). Sowohl kurz- als auch langfristig kann der Boys’Day Anstöße geben, damit Jugendliche die von außen an sie herangetragenen, traditionellen stereotypen Rollenzuschreibungen als solche identifizieren können und diese in der Praxis weiter an Bedeutung verlieren.
Männer, die in Teilzeit arbeiten, sind immer noch eine Minderheit
Angesichts der Spannweite von traditionellen über indifferente bis hin zu progressiven Einstellungen in Bezug auf eigenes Verhalten, Berufswahl und Rollenbilder überrascht es umso mehr, wie wenig Arbeitswelt und Unternehmen auf diese Bandbreite vorbereitet sind und sich insbesondere im Hinblick auf Vaterschaft daran so wenig ausrichten.
Im Jahr 2022 arbeiteten nach wie vor 87 Prozent der aktiv erwerbstätigen Väter in Vollzeit (Statistisches Bundesamt 2023), obwohl davon eigentlich 19 Prozent ihre Arbeitszeit reduzieren wollten. Von diesen 19 Prozent gab wiederum die Hälfte an, dass sie gerne mehr Zeit für die Familie hätte (IfD Allensbach 2022: 18 u. 23). Generell lässt sich beobachten, dass Vätern eine partnerschaftliche Aufteilung in Sachen Kinderbetreuung zusehends wichtiger wird (Prognos 2024: 36). Oft sind es jedoch finanzielle Zwänge bzw. die Anforderungen an den Mann, hauptverantwortlich Familienernährer zu sein, die dem nach wie vor entgegenstehen.
Väter haben allerdings durchaus Lösungen im Blick, wie sich Vaterschaft und Erwerbsarbeit besser vereinbaren lassen: Von denjenigen Vätern, die gerne vollzeitnah in Teilzeit arbeiten wollen, geben 59 Prozent an, dass flexiblere Arbeitszeiten helfen würden, Kinderbetreuung und Beruf zu vereinbaren. 57 Prozent wünschen sich dafür kostenlose Kinderbetreuung (Statistisches Bundesamt 2023). Darüber hinaus sagen 83 Prozent der Väter mit Kindern im Vorschulalter, dass Unternehmen es genauso akzeptieren sollten, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Kinderversorgung reduzieren, wie diese es bei Müttern tun (Bundesforum Männer 2023: 18).
Die Teilzeitquote von Männern ist allerdings nach wie vor gering und lag 2023 – unabhängig davon, ob sie selbst Vater sind oder nicht – bei 13,3 Prozent; bei Frauen waren es demgegenüber rund 50 Prozent (Statistisches Bundesamt 2025). Und trotz des bereits aufgeführten Wunsches vieler Väter nach mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie, geben von den in Teilzeit arbeitenden Vätern nicht mal ein Drittel (29 Prozent) an, dies wegen der Kinderbetreuung zu tun (Statistisches Bundesamt 2024). Der Wunsch nach Teilzeit bei Vätern wird größer, wenn die Kinder älter sind – also nach der Kleinkindphase, wenn Mütter wieder in den Beruf einsteigen oder ihre Arbeitszeit ausweiten wollen (BMFSFJ 2023: 52).
Festgehalten werden kann: Männliche Erwerbstätigkeit ist nach wie vor geprägt von der Idee des Vollzeit-Familienernährers, der zu Lasten privater Sorgearbeit in Haushalt und Kinderbetreuung im Betrieb uneingeschränkt verfügbar ist. Karriere in Teilzeit ist weiterhin eine Ausnahme – und für Männer nochmals ungewöhnlicher als für Frauen. Das traditionelle, männliche Erwerbsarbeitsmodell setzt auf die uneingeschränkte Verfügbarkeit von Männern – und schiebt die Verantwortung für unbezahlte Sorgearbeit in Haushalt, Kindererziehung und der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger den Frauen zu.
Dabei leiden nicht nur viele erwerbstätige Väter (und auch Mütter) unter solchen veralteten Strukturen, auch für Unternehmen können sich familienbewusste und väterfreundliche Lösungen auszahlen. So geben in einer Studie zur Väterfreundlichkeit der Wirtschaft 450.000 Väter an, schon einmal den Beruf zugunsten besserer Vereinbarkeit von Job und Familie gewechselt zu haben. 1,7 Millionen Väter denken oder dachten aus diesem Grund bereits über einen Arbeitgeberwechsel nach (Prognos 2022: 13). Bieten Unternehmen väterfreundliche Modelle an, können sie nicht nur auf zufriedenere Mitarbeiter bauen, sondern auch die Fluktuation reduzieren und damit Kosten für Akquise, Wissensmanagement und neue Einarbeitung sparen.
Es braucht Beiträge auf verschiedenen Ebenen
Der Boys’Day ist ein wichtiger Baustein neben anderen, um Care-Berufe als mögliche Berufsfelder für Jungen aufzuzeigen und die Vereinbarkeit von privater Sorgearbeit und beruflicher Erwerbsarbeit als Thema für Jungen und Männer stärker ins Bewusstsein zu rufen. Gerade diesen zweiten Aspekt sollte der Boys’Day zukünftig noch viel deutlicher hervorheben. Unternehmen, die am Boys’Day teilnehmen, können hier positive Vorbilder sein, indem sie neben der Berufsorientierung zugleich zeigen, wie sie Vätern durch geeignete betriebliche Maßnahmen eine bessere Vereinbarkeit ermöglichen. Dies können bspw. flexible Arbeitszeitregelungen, Teilzeit oder insgesamt eine entsprechende väter- und familienbewusste Unternehmenskultur sein. Zugleich müssen von politischer Seite die nötigen Rahmenbedingungen verbessert werden. Dies umfasst den weiteren Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten, steuerliche Anreize für eine partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit und eine Stärkung bezahlter Freistellungsoptionen für Väter. Sowohl durch eine Weiterentwicklung des Elterngeldes, wie durch die Einführung einer Vaterschaftsfreistellung nach Geburt. Auch in der Schule sollten im Rahmen der Berufsorientierung differenzierte Angebote gemacht werden, die Berufskunde mit Bildungs- und Lerninhalten zum Thema Vereinbarkeit und den geschlechts- und lebenslaufbezogenen Folgen von biografischen Entscheidungen, wie der Berufswahl und der Familiengründung, verknüpfen. Schulen sollten nicht bei der Frage „Was ist dein Traumberuf?“ verharren, sondern darüber hinausgehen und weitergehende Perspektiven eröffnen.
Quellen
- BMFSFJ (2023): Väterreport 2023, Entwicklungen und Daten zur Vielfalt der Väter in Deutschland, PDF-Zugriff: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/230374/1167ddb2a80375a9ae2a2c9c4bba92c9/vaeterreport-2023-data.pdf
- Boys’Day (2025): Machen Sie mit beim Boys’Day – Jungen-Zukunftstag 2025! (online), URL: https://www.boys-day.de/unternehmen-institutionen/aufruf-2025 (letzter Zugriff: 14. März 2025).
- Bundesforum Männer (Hrsg.) (2023): Männerperspektiven, Einstellung von Männern zu Gleichstellung und Gleichstellungspolitik, PDF-Zugriff: https://maennerperspektiven.de/wp-content/uploads/2023/11/Maennerperspektiven-1.pdf
- Bundesinstitut für Berufsbildung (2025): Pressemitteilung: Kauffrau für Büromanagement und Kfz-Mechatroniker weiter hoch im Kurs (online), URL: https://www.bibb.de/de/pressemitteilung_203218.php (letzter Zugriff: 11. März 2025).
- Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (Hrsg.) (2024): Wie ticken Jugendliche? 2024, Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland, PDF-Zugriff: https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/u18_SINUS-Jugendstudie_Wie-ticken-Jugendliche_2024_Print_24-06-07_Sperrfrist_12.06.24_12.00.pdf
- Prognos (Hrsg.) (2022): Wie väterfreundlich ist die deutsche Wirtschaft? Trends, Rahmenbedingungen und Entwicklungspotenziale, PDF-Zugriff: studie-prognos-wie-vaeterfreundlich-ist-die-deutsche-wirtschaft-data.pdf
- Prognos (Hrsg.) (2024): Familienfreundliche Arbeitgeber: Die Attraktivitätsstudie, Was Mütter, Väter und pflegende Angehörige wollen und was Unternehmen tun können, PDF-Zugriff: Prognos_Familienfreundliche_Arbeitgeber_Die_Attraktivitätsstudie
- kompetenzz (2022): Der Boys’Day wirkt, Ergebnisse der Wirkungsstudie 2022, PDF-Zugriff: Der Boys’Day wirkt – Ergebnisse der Wirkungsstudie 2022
- kompetenzz (2024): Zwischen Tradition und Emanzipation, Befragung zur Berufs- und Lebensplanung der Teilnehmer*innen 2023, PDF-Zugriff: 32846_a84daad8ab27775.pdf
- IfD Allensbach (2022): Weichenstellungen für die Aufgabenteilung in Familie und Beruf, Zweite Befragung – 2022, PDF-Zugriff: 9213_Weichenstellungen.pdf
- Statistisches Bundesamt (2023): Statistischer Bericht – Mikrozensus – Haushalte und Familien – Endergebnisse 2022 (online), URL: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Haushalte-Familien/Publikationen/Downloads-Haushalte/statistischer-bericht-mikrozensus-haushalte-familien-2010300227005-endergebnisse.html (letzter Zugriff: 2. April 2025).
- Statistisches Bundesamt (2024): Teilzeitquote erneut leicht gestiegen auf 31 % im Jahr 2023 (online), URL: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/04/PD24_N017_13.html (letzter Zugriff: 13. März 2025).
- Statistisches Bundesamt (2025): Gleichstellungsindikatoren (online), URL: https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Gleichstellungsindikatoren/_inhalt.html#678254 (letzter Zugriff: 12. März 2025).