Studie „Geflüchtete Männer in Deutschland – Bedarfe, Herausforderungen und Ressourcen“
Von 2016 bis 2018 realisierte das Bundesforum Männer das vomBundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Projekt „Flucht, Migration, Integration – Geschlechterreflektierte Arbeit mit männlichen Flüchtlingen“.
Mit der im Rahmen des Projektes erstellten Studie „Geflüchtete Männer in Deutschland – Bedarfe, Herausforderungen und Ressourcen“ konnte ein zielgerichteter Beitrag für künftige Hilfsangebote und Projekte für insbesondere männliche Geflüchtete geleistet und dabei vor allem auch ein geschlechterreflexiver Blick geschärft werden.
Soziale Beziehungen
(Jungen) geflüchteten Männern fehlen Zugänge zur Aufnahmegesellschaft, weswegen Angestellte im Supermarkt etc. häufig zu Ersatzkontakten werden. Rassistische Diskurse wirken sich auf das Selbstwertgefühl junger Männer im Verhältnis zur Aufnahmegesellschaft aus und stehen dadurch offenen und optimistischen Annäherungen entgegen. Außerdem fühlen sich Geflüchtete von verschiedenen Seiten häufig nicht als Individuum wahrgenommen.
Hier braucht es soziale Zugänge zur Aufnahmegesellschaft und den Ausbau sexualpädagogischer Angebote, die eine generelle Öffnung ermöglichen. Außerdem muss rassistischen Diskursen entschieden entgegengetreten werden, um ein sicheres Ankommen zu ermöglichen.
Bildung und Arbeit
Das Bedürfnis, in Deutschland zu arbeiten und dabei an die bisherige Bildungsbiographie anzuknüpfen kann über zweckgebundene Interaktionen hinausgehen und einen günstigen Rahmen bieten, um Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft auf Augenhöhe zu begegnen. Gleichzeitig fehlt jugendlichen Geflüchteten der Zugang zum regulären Schulunterricht und der Umgang mit Gleichaltrigen. Sprachkurse sind mit langen Wartezeiten und Zugangsbeschränkungen verknüpft. Auch beim Zugang zu Arbeitsmarkt, Ausbildungen und Praktika braucht es dringend mehr Flexibilität der zuständigen Behörden. Ausländerbehörden der Länder erteilen teilweise kaum Genehmigungen für weiterführende Studiengänge. Hier braucht es eine stärkere Berücksichtigung individueller Interessen und Fähigkeiten und kürzere Wartezeiten.
Unterbringung
Gemeinsam reisende Freunde werden durch die Transfers voneinander getrennt und unterschiedliche Regionen zugewiesen. In dieser Phase fehlen ihnen Beratungsmöglichkeiten ebenso wie Optionen, ihre Situation beeinflussen zu können, was zu Gefühlen von Ohnmacht, Autonomie- und Kontrollverlust führt. Gefühle, die den Ansprüchen junger Männer und Väter entgegenstehen, Verantwortung und Handlungsfähigkeit beweisen zu können. Ganz konkret bedeuten die aktuellen Unterbringungsbedingungen außerdem Hygienemissstände, Diebstähle, Drogenkonsum, Gewalt und einen Mangel an Privatsphäre, was sich nicht zuletzt auf den Schlaf auswirkt. Schlafentzug führt zu einem Mangel an Konzentrationsfähigkeit, beeinträchtigt z.B. schulische Leistungen und die Fähigkeit zum Deutschlernen. Das von vielen Praktiker*innen beschriebene erniedrigende und traumatisierende Potenzial solcher Bedingungen verhindert aktiv jede Form des Ankommens in der Aufnahmegesellschaft.
Um existentielle Befürnisse nach sicherem Wohnen zu erfüllen, braucht es zwingend (Mindest-)Standards für Unterbringungen deutschlandweit. Es ist notwendig, die Schutzbedürftigkeit von Jungen, Männern und Vätern in der weiteren Entwicklung von Gewaltschutzkonzepten für Gemeinschaftsunterkünfte zu integrieren. Außerdem muss die Ausbeutung von Geflüchteten auf dem anschließenden Wohnungsmarkt gestoppt werden.
Ressourcenstärkende Angebote
Betroffene bringen häufig ein hohes Maß an Resilienz mit. Die Aufnahmegesellschaft sollte stressfreie Räume schaffen und so die Selbstheilung fördern, die bei vielen bereits angelegt ist. Beispiele aus der Praxis für solche Orte sind öffentliche Bibliotheken, in denen persönliche Ansprechpartner ein Näheverhältnis aufbauten, Kirchen- und Moscheegemeinden, Angebote der Jugendmigrationsdienste, Angebote der offenen Jugendarbeit, Jugendfreizeiten und Theatergruppen sowie Schul-, Vereins- und Gemeindefeste. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit erlebten befragte junge Männer ebenfalls durch eigenes ehrenamtliches Engagement, etwa Dolmetschen oder das Teilen von Wissen bei behördlichen Anliegen.
Abschließendes aus der Perspektive des BFM
Die diffizilen Lebenssituationen der geflüchteten Menschen machen insgesamt die Zerbrechlichkeit sozialer Sicherheiten in Deutschland sichtbar. Vor dem Hintergrund rassistischer Diskurse sind Geflüchtete dieser Zerbrechlichkeit in besonderer Härte ausgesetzt. Umso mehr ist Politik auf allen Ebenen gefordert, gleichstellungspolitische Entwicklungen aktiv mitzugestalten. Eine Perspektive, die geflüchtete Männer überwiegend als Problemfälle im Sinne der Kriminalstatistik thematisiert, kann in der Praxis dazu beitragen, dass die Vulnerabilität von geflüchteten (jungen) Männern strukturell zu wenig gesehen wird. Aus belastenden, mitunter traumatisierenden Erlebnissen vor, während und nach der Flucht entsteht ein besonderer Bedarf, nicht für alle, aber für viele der geflüchteten Jungen und Männer. Mit dieser besonderen Schutzbedürftigkeit muss gendersensibel umgegangen werden. Für geflüchtete Männer, egal ob mit Bleibeperspektive oder ohne, muss es das Ziel sein, sie nicht nur notdürftig und unter menschenunwürdigen Bedingungen in zentralisierten Einrichtungen zu verwahren, sondern ihnen zu ermöglichen „Agenten des Wandels“ zu werden.
Eigenen und von außen wirksamen Anforderungen nicht gerecht zu werden, trifft Männer oft im Kern ihres „männlichen Selbstbildes“ und mindert ihr Selbstwertgefühl durch das geringe Maß an erlebter Selbstwirksamkeit. Genderkompetente Begleitung ist notwendig, gerade mit Blick auf die Anforderungen, bestimmten Männlichkeitsbildern zu entsprechen. Mentoring-Programme müssen unterstützt werden, durch die junge Geflüchtete von den Erfahrungen (auch älterer) Einheimischer profitieren können. Proaktiv müssen Impulse zur Gründung von Männergruppen (Peer-to-Peer) gesetzt und Unterstützungsangebote, die auch Familienangehörige einbeziehen, geschaffen werden.