Neues Lagebild häusliche Gewalt veröffentlicht
Am Freitag, den 7. Juni 2024 haben die Bundesministerinnen Lisa Paus (BMFSFJ) und Nancy Faeser (BMI) gemeinsam mit Martina Link, Vizepräsidentin des Bundeskriminalamtes (BKA) und Petra Söchting, Leiterin des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“, das neue „Lagebild Häusliche Gewalt“ vorgestellt.
256.276 Menschen wurden im Jahr 2023 Opfer von häuslicher Gewalt. 70,5 % davon waren weiblich (180.715) und 29,5 % männlich (75.561). Das sind zumindest die Zahlen der Fälle, die vom Bundeskriminalamt erfasst wurden – das sogenannte Hellfeld. Im Vergleich zu 2022 bedeutet dies einen Anstieg von 6,5 %.
Häusliche Gewalt = Partnerschaftsgewalt + innerfamiliäre Gewalt
Das „Lagebild häusliche Gewalt“ unterscheidet zwei Formen von Gewalt: „Partnerschaftsgewalt“ und „innerfamiliäre Gewalt“. Der Unterschied liegt im Beziehungsstatus zwischen Opfern und Tatverdächtigen. Handelt es sich um Paare oder ehemals Paare? Dann geht es um „Partnerschaftsgewalt“. Handelt es sich um sonstige familiäre Verbindungen, also Eltern zu Kindern, Geschwister untereinander, Tanten, Onkel, Großeltern? Dann geht es um „innerfamiliäre Gewalt“.
Partnerschaftsgewalt
Im Bereich Partnerschaftsgewalt wurden 167.865 Opfer erfasst, ein Anstieg von 6,4 % gegenüber 2022.
79,2 % weiblich (132.966),
20,8 % männlich (34.899).
Innerfamiliäre Gewalt
Im Bereich innerfamiliärer Gewalt waren es 88.481 Opfer, ein Anstieg von 6,9 % gegenüber 2022.
46 % männlich (40.662),
54 % weiblich (47.749).
Tatverdächtige überwiegend männlich
Die Tatverdächtigen sind mit deutlicher Mehrheit männlich. Das BKA zählte für den gesamten Bereich der „häuslichen Gewalt“ in 2023 208.810 Tatverdächtige: 24,4 % weiblich (50.878), 75,6 % männlich (157.932). Bei der Partnerschaftsgewalt liegt der Anteil männlicher Tatverdächtiger bei über 77,6 %, bei innerfamiliärer Gewalt bei 71,9 %. Männer sind nicht nur im Bereich häuslicher Gewalt überwiegend Täter bzw. Tatverdächtige, sondern auch bei Gewaltdelikten im öffentlichen Raum.
Hintergrund dafür ist, dass Gewalt eng mit bestimmten Bildern von Männlichkeit und gesellschaftlichen Männlichkeitsanforderungen verknüpft ist und sich dies in den Sozialisationserfahrungen vieler Jungen und Männern widerspiegelt. Um Gewalt wirksam zu bekämpfen und die Prävention zu stärken, muss vor allem hier angesetzt und investiert werden, davon ist das Bundesforum Männer überzeugt.
Männliche Opfer in den Blick nehmen
Dass Männer zugleich aber auch Opfer sind, insbesondere bei Gewalttaten im öffentlichen Raum, gerät durch eine geschlechterstereotype Täter-Opfer-Betrachtung leider oft aus dem Blick. Dies gilt auch für den Bereich der häuslichen Gewalt, wo im Bereich der Partnerschaftsgewalt rund jedes fünfte Opfer (20,8%) und im Bereich der innerfamiliären Gewalt fast jedes zweite Opfer (46%) männlich ist. Gerade im Bereich der innerfamiliären Gewalt sind viele der Betroffenen männliche Kinder und Jugendliche.
Wie groß die Zahl der von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen, Männer und Jungen tatsächlich ist, lässt sich aus den Befunden des BKA zum Hellfeld letztlich nicht ablesen. Deshalb ist es überfällig, dass fast 20 Jahre nach der Studie „Gewalt gegen Frauen“ und der Pilotstudie „Gewalt gegen Männer“ nun mit LeSuBiA eine vergleichende Dunkelfeldstudie umgesetzt wird. Als Bundesforum Männer begrüßen wir das ausdrücklich
Welche Maßnahmen wir jetzt dringend brauchen
- Schnelle Umsetzung des Gewalthilfegesetzes entsprechend der neuen EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt und der Istanbul Konvention
- Ausbau des Opferschutzes für Frauen
- Finanzielle Absicherung vorhandener Beratungseinrichtungen und Frauenhäuser
- Schnelle Umsetzung der geplanten Bundesgesetzesinitiative zur Absicherung der Frauenberatungseinrichtungen und Frauenhäuser
- Informations- und Aufklärungsarbeit: auch Männer und Jungen sind von Häuslicher Gewalt bzw. Partnerschaftsgewalt betroffen
- Ausweitung von niedrigschwelligen und multilingualen Hilfe- und Beratungsangeboten für betroffene Männer
- Ausbau des Opferschutzes für Männer
- Absicherung der vorhandenen Gewaltschutzwohnungen für Männer – mindestens fünf Schutzwohnungen pro Bundesland sollten verlässlich vorgehalten werden
- Ausbau des „Hilfetelefons Gewalt an Männern“ zu einem bundesweiten Hilfetelefon mit 24/7 Erreichbarkeit mit Bundesmitteln
- Eine flächendeckende geschlechterreflektierte Jungen- und Männerarbeit zur Förderung der primären Gewaltprävention
- Mehr Täterarbeit zur Förderung der sekundären und tertiären Gewaltprävention
- Vermittlung von Gender- und Männlichkeitskompetenzen in der Fachkräfte-Aus- und Weiterbildung
- Ressortübergreifende politische Strategie zur Prävention und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die auch Jungen und Männer als Opfer und Täter berücksichtigt
- Integration der Perspektive gewaltbetroffener Jungen und Männer in die bundes-, landes- und kommunalweiten Gewaltschutzrichtlinien und Fördermaßnahmen