Am 1. Juli 2022 sprach Dr. Dag Schölper, Geschäftsführer des Bundesforum Männer – Interessenverband für Jungen, Männer & Väter e.V., im Refugio Berlin ein Grußwort zum 5-jährigen Bestehen der MUT-Traumahilfe für Männer*. Seit 1994 unterstützt das Projekt von HILFE-FÜR-JUNGS e.V. Jungen und junge Männer, die von sexueller Ausbeutung und Gewalt bedroht und/oder betroffen sind. Zu den geladenen Gästen zählte auch Bettina Jarasch, Berliner Bürgermeisterin und Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. Lesen Sie hier das Grußwort von Dr. Dag Schölper in gekürzter Form.

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, liebe Bettina Jarasch! 

Lieber Lukas Weber, lieber Stefan Schröder, lieber Markus Wickert! 

Sehr geehrte Gäste! 

Ich bedanke mich sehr für die Möglichkeit, heute, anlässlich des 5-jährigen Jubiläums von MUT-Traumahilfe für Männer*, ein Grußwort sprechen zu dürfen.  

Hier, an diesem besonderen Ort, im Refugio Berlin muss ich daran denken, dass wir als Bundesforum Männer im Mai 2016 ein Projekt zur geschlechterreflektierten Arbeit mit geflüchteten Männern begonnen hatten. Im Rahmen dieses Projekts suchten wir nach fachkundigen Kolleg:innen, um vor Ort Angebote für geflüchtete Männer und Jungen in Einrichtungen der Flüchtlingshilfe zu initiieren. Und das war gar nicht einfach, solche Fachleute zu finden. 

In der Arbeit von MUT liegt der Fokus auf sexualisierter Gewalt. Und auch das war und ist ein relevantes, aber noch immer zu wenig beachtetes Thema im Kontext von Flucht.  

Yuriy Nesterko, Kim Schönenberg und Heide Glaesmer von der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig haben letztes Jahr im Deutschen Ärzteblatt die Forderung erhoben, dass die Erfahrungen von sexualisierter Gewalt und die psychischen Belastungen bei weiblichen, aber besonders auch bei männlichen neuankommenden Geflüchteten in Deutschland stärker berücksichtigt werden müssten. Sie halten es für eine „übergeordnete Aufgabe für klinisch und wissenschaftlich Tätige“, sexualisierte Gewalt zu enttabuisieren. Und sie unterstreichen, dass männliche Betroffene mehr in den Fokus zu rücken seien. Betroffene allgemein – und besonders männliche – müssten entstigmatisiert werden und brauchten dringend spezifische Versorgungsangebote. 

Genau in diesem Sinne leistet MUT seit seinem Bestehen wesentliche Pionierarbeit – und das nicht allein für Geflüchtete, sondern insgesamt – für alle Jungen und Männer, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Sie betrachten den Einzelnen nicht isoliert, sondern binden auch Angehörige und Partner:innen mit ein. Mit anderen Worten: sie verfolgen einen systemischen Ansatz in ihrer Arbeit.  

Sexualisierte Gewalt, die Jungen in der Kindheit widerfährt, zerstört Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Getragen-Sein und Vertrauen. Das hinterlässt Risse im Selbstbild. Die so wichtige Spiegelung in den eigenen Eltern, in erwachsenen Vorbildern des Nahraumes können nicht stattfinden, wenn genau von diesen die Gewalt ausging. Statt Selbstvertrauen wachsen Selbstzweifel. Traumata können aber auch, wenn sie im späteren Lebensverlauf zugefügt werden, ähnlich verheerende Wirkungen verursachen. Sexualisierte Gewalt im Kontext von Folter und Vertreibung kann ebenfalls dazu führen, dass ganz erhebliche Störungen im Selbstbild entstehen und Resilienz geschwächt wird. 

Im Verlauf ihres Lebens haben die Betroffenen mit Symptomen zu kämpfen, die ihre Lebensqualität einschränken. Das kann sich in Aggression, Schlafstörungen oder depressiven Episoden äußern. Allzu oft bleiben die Ursachen unerkannt – auch den Männern selbst unerklärlich.  

Doch auch in der Ärzteschaft werden körperliche Beschwerden viel zu oft nicht genügend ergründet, obwohl lange bekannt ist, dass sie ihre Ursachen in traumatisierenden Ereignissen haben können. Von daher ist es enorm wichtig, dass es Unternehmungen wie die von MUT gibt, die den Betroffenen selbst einen verlässlichen Anlaufpunkt und fachliche Unterstützung in akuten Situationen anbieten, die aber auch Multiplikator:innen sensibilisieren und aufklären, damit die Betroffenen auch tatsächlich den Weg in das Hilfesystem finden. 

MUT bietet ein niedrigschwelliges Angebot an, das Männern dabei hilft, besser zu verstehen, was mit ihnen eigentlich los ist und erklärt, dass körperliche Symptome womöglich eine ganz normale Reaktion auf eine außernormale Belastungserfahrung sind. Betroffene Männer werden in ihrem Leiden wahr- und ernst genommen, stabilisiert und auf dem Weg aus der akuten Not begleitet. MUT ist wichtig, auch wenn hier niemand zaubern kann. Aber hier sammelt sich Erfahrung und Know-How, sodass die Betroffenen lernen können, was ihnen guttut. Für einige ist das der erste Schritt, um sich dann auch therapeutische Hilfe zu suchen. Auch dafür ist das Angebot von MUT wichtig: Gemeinsam mit den Betroffenen die inneren und, wie ich hinzufügen möchte, typisch männlichen Blockaden aus dem Weg zu räumen, die es einem unmöglich machen, Hilfe von Dritten zu suchen und vor allem anzunehmen, mehr noch: als ein eigenes Bedürfnis wahr- und annehmen zu können. 

Ich bin jedenfalls sehr froh, dass es dieses Angebot gibt. Dass wir Männer in Notlagen den Tipp geben können, hier das Gespräch zu suchen. Auch wenn ich es sehr betrüblich finde, dass es bundesweit betrachtet noch viel zu wenig solcher Anlaufstellen gibt. So macht mir MUT Mut, dass das einfach erst der Anfang ist zu einer flächendeckenden Versorgungslandschaft für Männer, die durch sexualisierte Gewalt traumatisiert wurden. 

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen erdenklichen Erfolg und danke Euch von Herzen für Euer wichtiges Engagement!

Ich hoffe, dass Eure Arbeit eine stabile öffentliche Förderung erhalten wird. Denn die Leistung, die Ihr erbringt, ist unerlässlich für die Betroffenen. Ihr seid eine Notfallhilfe, die als Teil der Daseinsvorsorge anerkannt werden muss. Ich wünsche uns, dass Ihr viele Nachahmer:innen auch in anderen Teilen der Republik finden werdet.