Die Richtung stimmt – aber Jungen, Männer und Väter müssen noch gezielter angesprochen und mitgedacht werden
Im Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Koalition steht es schwarz auf weiß: Die Gleichstellung von Frauen und Männern soll noch in diesem Jahrzehnt erreicht werden. Als Bundesforum Männer begrüßen wir ausdrücklich, dass sich die Bundesregierung hier Großes vornimmt.
Die tatsächliche Gleichstellung wird nach unserer Einschätzung jedoch nur dann nachhaltig gelingen, wenn auch Männer stärker als bisher in den Blick genommen werden – und zwar sowohl als Unterstützer für gleichstellungspolitische Anliegen von Frauen als auch hinsichtlich ihrer eigenen gleichstellungspolitischen Bedarfe als Jungen, Männer und Väter. Insofern ist es gut, dass im Koalitionsvertrag eine gleichstellungsorientierte Jungen- und Männerpolitik als Teil der Gleichstellungspolitik der Bundesregierung ausdrücklich benannt wird.
Dennoch hätte die Ampelkoalition bei der Formulierung ihres Koalitionsvertrages ruhig etwas mehr Männlichkeit wagen können. Denn unklar ist, wieviel (kritische) Männlichkeitsperspektive in den beschriebenen Zielen und Maßnahmen steckt und wo Männer als Verbündete, als Adressaten und als Akteure einer Politik für geschlechtergerechte Verhältnisse direkt angesprochen sind.
Die Weiterentwicklung der ressortübergreifenden Gleichstellungsstrategie begrüßen wir als Bundesforum Männer genauso, wie einen durchgehenden Gleichstellungs-Check für künftige Gesetze und Maßnahmen oder das Ziel, den Gender Data Gap zu schließen. Aber wir erwarten zugleich, dass dabei Männer bzw. Männlichkeit(en) Berücksichtigung finden. Das betrifft den Bereich der Gesundheitspolitik mit einem differenzierten Blick auf männliche Lebenslagen genauso, wie bspw. die Familienpolitik, wo Väter beim Thema Partnerschaftlichkeit ausdrücklich stärker positiv angesprochen, ermuntert und – wo nötig – auch gefordert werden müssen.
Wichtige gleichstellungspolitische Vorhaben auch für Männer
Aus der Perspektive einer gleichstellungsorientierten Politik für Männer, Jungen und Väter sind wichtige politische Weichenstellungen geplant. Dazu gehört, dass die bürokratischen Hürden bei der Beantragung von Elterngeld abgebaut, die Partnermonate erweitert und die neue Familienleistung einer vergüteten Freistellung für Väter (und Mitmütter) aus Anlass einer Geburt eingeführt werden sollen. Wir werten es als positives Signal, dass die neue Bundesfamilienministerin Anne Spiegel medial hinter diese Maßnahmen noch ein Ausrufezeichen gesetzt hat.
Partnerschaftlichkeit zwischen den Eltern weiter zu stärken – auch nach Trennung und Scheidung – finden wir genauso sinnvoll wie die Zielstellung, in der Trennungs- und Konfliktberatung den Fokus deutlicher auf die Möglichkeiten des Wechselmodells zu richten, um so Schritt für Schritt vom alten Residenzmodell als alleinigem Normalfall wegzukommen. Ebenfalls stellt die skizzierte Möglichkeit, dass nicht verheiratete Väter einseitig das gemeinsame Sorgerecht erklären können, einen Schritt in die richtige Richtung dar. Bei einer Reform des Abstammungsrechts sollte dagegen dringend darauf geachtet werden, dass bei der Integration der völlig berechtigten Anliegen von queeren Familienkonstellationen auch die heterosexuelle Vaterschaft in der Rechtssprache weiterhin adäquat repräsentiert bleibt.
Gewalt soll künftig mit einer ressortübergreifenden Strategie entgegengewirkt werden und auch die Istanbul-Konvention soll endlich vollumfänglich umgesetzt werden. Das bedeutet eine Stärkung des Gewaltschutzes vor allem für Frauen und Mädchen, aber auch für Jungen und Männer. Als Bundesforum Männer finden wir es wichtig, in diesem Feld insgesamt aufzusatteln und dabei eine Balance aus Prävention, Opferschutz und -unterstützung sowie Täterarbeit zu gewährleisten. Die Ansätze im Koalitionsvertrag klingen vielversprechend. Jetzt muss geliefert werden.
Für die geplante Kindergrundsicherung oder für den Zusammenhang von Pflege und Vereinbarkeit sind Männer ebenfalls eine wichtige Bezugsgröße, auch wenn dies im Koalitionsvertrag nicht gesondert hervorgehoben wird. Denn die Kindergrundsicherung kann als gesellschaftliche Solidarleistung und in Verschränkung mit der geplanten Reform bei der Familienbesteuerung und den Steuerklassen dazu beitragen, dass die männliche Rolle des Allein- oder Haupternährers weiter aufgeweicht und damit Geschlechterungleichheit überwunden wird, auch und vor allem in den untersten Einkommensniveaus. Die geplante Lohnersatzleistung im Falle pflegebedingter Auszeiten kann ebenfalls ein wichtiger Beitrag sein, um Männern eine Übernahme von Angehörigenpflege zu ermöglichen oder zumindest zu erleichtern.
Caring Masculinities – Männer werden noch zu selten explizit angesprochen
Viele der geplanten Maßnahmen eint, dass darin die Erweiterung des männlichen Rollenbildes „Erwerbsmann“ um die Facette von Caring Masculinities (fürsorgliche Männlichkeiten) angelegt ist, so wie dies bereits im 2. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung mit dem Erwerbs-und-Sorge-Modell für alle Geschlechter entworfen wurde. Daher halten wir es für zentral, Männer und Väter gezielt anzusprechen, um ihnen das Entfaltungspotential und die persönlichen Chancen nahezubringen, die in all diesen mittel- und unmittelbar gleichstellungspolitisch wirkenden Maßnahmen liegen.
Wir hoffen, dass es in den nächsten vier Jahren unter der neuen Bundesregierung gelingt, mehr Jungen, Männer und Väter für die Gleichstellungspolitik zu gewinnen und alle Geschlechter einzuladen, Gleichstellung gemeinsam voranzubringen. Dafür stehen wir als Bundesforum Männer bereit.