meg-jerrard-JnLp1kus3Ks-unsplashDie Ankündigung der Türkei, aus dem seit 2011 bestehendem „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ (Istanbul-Konvention) auszutreten, ist ein herber Rückschlag. Sowohl für den Schutz von Frauen und Mädchen gegen Gewalt in der Türkei als auch generell für den Schutz vor häuslicher Gewalt von Frauen, Kindern und Männern.

Türkische Regierung erteilt Schutz von Frauen gegen Gewalt eine Absage

Dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Istanbul-Konvention, einstmals in der türkischen Metropole abgeschlossen, nun aufkündigt, ist auch innerhalb der Türkei sehr umstritten und wird als weitere Annäherung Erdoğans an islamisch-konservative Kräfte innerhalb der Türkei verstanden. Frauen sind in der Türkei auch weiterhin stark von sexualisierter und häuslicher Gewalt betroffen und es ereignen sich regelmäßig grausame Frauenmorde. Nun wird noch weniger getan, um Frauen vor Gewalt zu schützen. Im Gegenteil: Das von Erdoğan ausgesendete Signal ist Ausdruck eines gesellschaftspolitischen Rückwärtstrends mit dem Ziel, Mädchen und Frauen in die Rolle der Hausfrau zurückzudrängen und sie von gesellschaftlicher und politischer Teilhabe auszuschließen. „Die Istanbul-Konvention sollte ursprünglich Frauenrechte stärken, wurde aber von einer Gruppe von Leuten gekapert, die Homosexualität normalisieren wollen – diese ist inkompatibel mit den gesellschaftlichen und Familienwerten der Türkei.“, so die homophobe Begründung aus dem Präsidialamt, die zeigt, dass nicht nur der gesellschaftliche Status von Frauen re-traditionalisiert werden soll, sondern auch lesbische Frauen, schwule Männer und Menschen, die queere und liberale geschlechtliche Lebensmodelle leben insgesamt zurückgedrängt werden.

Auch die EU erlebt einen Rollback

Im europäischen Kontext sucht die Türkei einen ideellen Schulterschluss mit christlich-fundamentalistischen und neo-konservativen Bewegungen wie Prawo i Sprawiedliwość in Polen oder Fidesz in Ungarn. Die Istanbul Konvention und damit liberale Gleichstellungspolitiken werden so zunehmend unter Druck gesetzt. Sechs EU-Mitgliedsstaaten (Bulgarien, Ungarn, Tschechien, Lettland, Litauen und die Slowakei) haben die Konvention nicht ratifiziert. „Polen hat sogar bereits Schritte eingeleitet, um von der Konvention zurückzutreten, weil die Istanbul-Konvention ein Versuch der LGBT-Gemeinschaft (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transpersonen) ist, der gesamten Gesellschaft ihre Gender-Vorstellungen aufzuzwingen.“ So die weitere Begründung aus dem türkischen Präsidialamt. Die Istanbul Konvention ist mit Ausnahme von Russland und Aserbaidschan und damit von 45 der 47 Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet und von 34 Staaten ratifiziert worden. Insbesondere durch das vereinbarte Monitoring und Berichtsystem (GREVIO- group of experts on action against violence against women and domestic violence) schafft sie einen europaweiten Bezugsrahmen und eine Struktur zur gemeinsamen Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewaltschutz von Frauen.

Istanbul-Konvention als wichtige Stütze gleichstellungsorientierter Männerpolitik

Über den unabdingbar notwendigen Schutz von Frauen vor Gewalt hinaus beinhaltet die Istanbul-Konvention weitere Aspekte, die aus einer männerpolitischen Perspektive wichtig sind und die wir sowohl für die Türkei als auch für Deutschland (und darüber hinaus) für unverzichtbar halten:

  • Schutzräume und andere Hilfesysteme für Frauen sind auszubauen

  • Gewalt gegen Frauen muss gesellschaftlich bekämpft und männliche Täter gestoppt werden

  • Kinder müssen davor geschützt werden, Opfer häuslicher oder sexualisierter Gewalt zu werden. Die Hilfesysteme müssen geschlechterreflektiert spezifische Lebenslagen und Betroffenheiten von Jungen ebenso wie von Mädchen beachten

  • Männer, die keine Täter sein oder werden wollen brauchen Unterstützung und Hilfe (Täterarbeit) 

  • Auch Männer können Opfer von häuslicher Gewalt werden. Die Verletzbarkeit (Vulnerabilität) und Schutzbedürftigkeit von Männern ist anzuerkennen und notwendige Schutzsysteme einzurichten

Der geplante Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention stärkt die Opposition in der Debatte um gesellschaftliche Offenheitgleichstellungsorientierte Geschlechterpolitiken und moderne, selbstbestimmte LebensmodelleDas BUNDESFORUM MÄNNER – Interessenverband für Jungen, Männer und Väter e.V. ist über diese Entwicklung entsetzt und appelliert an die Bundesregierung sich klar gegen das aus der Türkei gesendete Signal zu positionieren und zur Rückkehr in den Vertrag aufzufordern.