Das Europäische Parlament hat am 4. April 2019 der Richtlinie „Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige“ zugestimmt (vgl. unsere Berichte vom 30. Januar und vom 7. Februar). Damit ist die EU Vereinbarkeitsrichtlinie beschlossen. In einer gemeinsamen Positionierung von Deutschem Frauenrat, Bundesforum Männer, Zukunftsforum Familie, Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen und Deutschem Gewerkschaftsbund kommentieren die Verbände das Ergebnis (Download als PDF unten):

Mehr Mut zu Gleichstellung und fairer Vereinbarkeit bitte!
Neue EU-Vereinbarkeitsrichtlinie stärkt das soziale Europa, gibt aber keine Impulse zur Weiterentwicklung in Deutschland.

Ein faires und ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Erwerbsarbeit, Familie und Privatleben zu finden, ist immer noch eine große Herausforderung für Arbeitnehmer/innen in Europa. Viele Frauen und Männer werden durch verfestigte Rollenvorstellungen und strukturelle Rahmenbedingungen in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt und davon abgehalten, ein selbstbestimmtes Arrangement zu finden.

Vor allem Frauen sehen sich häufig gezwungen, zeitweise den Arbeitsmarkt zu verlassen oder ihre Arbeitszeit aufgrund familiärer Verpflichtungen und mangelnder Unterstützung, zum Beispiel bei der Pflege Angehöriger, zu reduzieren. Dies wirkt sich negativ auf ihre Erwerbsbiografie, ihr Einkommen und damit auch auf ihre soziale Absicherung aus. Durch familien- und gleichstellungspolitische Maßnahmen ist die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit, Familie und Privatleben in Deutschland in den letzten Jahren bereits deutlich verbessert worden. Eine geschlechtergerechte Verteilung der Anforderungen, die es Müttern und Vätern gleichermaßen ermöglicht, berufstätig zu sein und gemeinsam für ihre Kinder oder pflegebedürftigen Angehörigen zu sorgen, gibt es aber noch nicht.

Um den Anteil von Frauen am Arbeitsmarkt zu erhöhen, die Übernahme von Sorgearbeit durch Väter zu fördern und die Regelungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu verbessern, hat die Europäische Kommission im April 2017 die „Richtlinie zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige“ vorgeschlagen – als Teil der Europäischen Säule Sozialer Rechte. Nach zweijährigen Verhandlungen wurde die Richtlinie in abgeschwächter Fassung nun durch das EU-Parlament angenommen.

Zwei wichtige familien- und gleichstellungspolitische Impulse darin sind die zweiwöchige bezahlte Freistellung für Väter nach der Geburt (paternity leave) sowie die Ausweitung der individuellen Freistellungsregelungen für erwerbstätige Eltern (parental leave). EU-weit wird es zukünftig pro Elternteil Anspruch auf vier Monate Elternzeit geben, von denen jeweils zwei Monate vergütet werden müssen und die nicht übertragbar sind. Allerdings können die Mitgliedstaaten die Vergütungshöhe selbst festlegen. Gleiches gilt für die fünf Tage Pflegezeit, die in der Richtlinie verankert sind.

Damit kommt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie EU-weit einen großen Schritt voran. In Deutschland allerdings ändert sich nichts. Denn der ursprüngliche Kommissionsvorschlag sah weitreichendere Regelungen vor, die deutlich zusammengestrichen wurden.

Durch das ursprünglich vorgeschlagene individuelle Recht beider Elternteile auf jeweils vier nicht übertragbare Monate Elternzeit, vergütet auf dem Niveau des Krankengeldes, wäre ein deutlich stärkerer Anreiz für Väter geschaffen worden, sich partnerschaftlich in die Sorgearbeit einzubringen. Zudem hätten Väter ihren Arbeitgeber/innen gegenüber eine überzeugende rechtliche Handhabe bekommen, um ihren Wunsch auf aktive Teilhabe am Familienleben durchzusetzen. Doch statt der vier Monate hat sich in den Verhandlungen die auch von der Bundesregierung vertretene Linie durchgesetzt, nur zwei bezahlte, nicht übertragbare Elternzeitmonate vorzusehen, wie sie in Deutschland mit den sogenannten Partnermonaten beim Elterngeld bereits existieren.

Die auf Höhe des Krankengeldes vergüteten zehn Tage Freistellung für Väter nach der Geburt konnte die Kommission durchsetzen. Allerdings darf diese Vaterschaftsfreistellung mit bereits bestehenden nationalen Regelungen bei der bezahlten Elternzeit (parental leave) verrechnet werden wenn diese ein bestimmtes Niveau erreichen. Dies ist in Deutschland der Fall, sodass die Richtlinie hier keine substantiellen nationalen Änderungen nach sich ziehen wird. Hinsichtlich einer spezifischen Vaterschaftsfreistellung bleibt Deutschland damit hinter anderen EU-Staaten zurück.

Die flexiblen Arbeitszeitregelungen für Eltern (von Kindern bis acht Jahren) und pflegende Beschäftigte sind im Ergebnis nicht als grundsätzliches Recht für Beschäftigte festgeschrieben. Stattdessen soll lediglich ein Recht auf deren Beantragung eingeführt werden. Ein generelles Recht auf flexible Arbeitszeitregelungen ließ sich im Rat nicht durchsetzen. Nunmehr gilt: Arbeitgeber/innen prüfen und beantworten Anträge auf flexible Arbeitsregelungen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse sowohl der Arbeitgeber/innen als auch der Arbeitnehmer/innen. Arbeitgeber/innen müssen eine Ablehnung oder Aufschiebung der Anträge begründen.

Der Beschäftigungsanspruch nach Vaterschafts-, Eltern- und Pflegezeit wurde festgeschrieben: Arbeitnehmer/innen haben Anspruch, an ihren früheren oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz zurückzukehren und in den Genuss aller Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu kommen, auf die sie Anspruch gehabt hätten, wenn sie die Eltern-/Pflegezeit nicht genommen hätten.

Die EU-Kommission spricht trotz deutlicher Reduzierung ihres Vorschlags von einem „riesigen Schritt hin zu einem sozialeren Europa“. Auch die Bundesregierung würdigt den Kompromiss zur Richtlinie als „familien- und gleichstellungspolitischen Meilenstein für Europa“.

Die Unterzeichnenden begrüßen, dass eine Einigung darüber gelungen ist, EU-weit eine partnerschaftlichere Verantwortung von Frauen und Männern für die Sorgearbeit gesetzlich zu verankern und damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Dieser Schritt stärkt die Europäische Säule Sozialer Rechte. Gerade jetzt vor der Europawahl ist es wichtig, dass die Säule endlich mit einem ersten legislativen Instrument gestärkt wird.

Zugleich hätten sich die Unterzeichnenden ein deutlicheres Signal für die Vereinbarkeit der verschiedenen Lebensbereiche und eine gerechte Verteilung der Familienpflichten zwischen den Geschlechtern gewünscht, um Partnerschaftlichkeit in der Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zu stärken. In der jetzigen Fassung bringt die neue Richtlinie keine Verbesserungen in Deutschland.

Die Unterzeichnenden fordern die Bundesregierung auf, eigene gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben zu verbessern und die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern. Dazu gehören z. B. die geschlechtergerechte Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeld, die Realisierung einer bezahlten Vaterschaftsfreistellung nach der Geburt als eigenständige Leistung und die Einführung einer Pflegezeit mit angemessener Ausgleichszahlung, z. B. in Anlehnung an das Elterngeld.